Aspekte der Bachinterpretation am Ende des 20. Jahrhunderts
Gedanken zu einigen aktuellen CD-Einspielungen Bachscher Orgelwerke
Dass auch diejenigen Organisten bzw. Organistinnen, die nicht zu den Stars am Orgelhimmel gehören, mit bemerkenswerten Bacheinspielungen aufwarten können, zeigt Dagmar Lübking mit ihrer Aufnahme. Sie hat sowohl Kirchenmusik und Orgel wie auch Musikwissenschaft studiert und verfügt somit über das notwendige Rüstzeug für eine fundierte Interpretation.
Die auffallenden Merkmal ihres Musizierstils stellen gemäßigte Tempi und das bewußt eingesetzte Mittel der musikalischen Deklamation dar, die in der Dosierung zum Teil an die Grenzen des Möglichen stößt. Das betrifft im besonderem Maße die Wechsel zwischen Solo- und Tutti-Passagen in Vivaldis Concerto BWV 593.
Auf einige Besonderheiten ihres Spiels der Partita Sei gegrüßet, Jesu gütig sei hingewiesen. Den eröffnenden Choral bringt sie in einer Principalmischung in Manual und Pedal zu Gehör, wobei das Pedal zusätzlich durch Fagott 16´ (vielleicht unbeabsichtigte) Vordergründigkeit erhält.
Dagmar Lübking stellt die einzelnen nachfolgenden Variationen unter einen großen Bogen hinsichtlich der Temporelationen. So besitzen die Manualiter-Versionen insgesamt das gleiche Grundtempo. Damit erhält das oft im Prestissimo zu hörende Bicinium (Variation III) eine wohltuende innere Ruhe und melodische Ausstrahlung.
Variation VI erklingt im französischen Gusto mit verkürzten Notenwerten in den Auftakten (abweichend von der Notation). Mit einer markigen Registrierung trägt sie die im Stil einer Sarabande gehaltene vorletzte Variation vor. Sie wird damit der majestätischen Satzstruktur durchaus gerecht.
Ars Organi, März 2000 // Felix Friedrich
